Kurzweiliger Ritt durch die Frauenfußball-Jahrzehnte

Zwei Halbzeiten, sieben Protagonistinnen und zahlreiche Anekdoten und Geschichten aus 50 Jahren Frauenfußball: Beim Jahresempfang des Fußball- und Leichtathletik-Verbandes Westfalen (FLVW) ritten die mehr als 100 Gäste am Montagabend im SportCentrum Kaiserau durch fünf Jahrzehnte „Verboten guten Fußball“. Das Motto bildet den Auftakt für das Jubiläumsjahr im westfälischen Verband, der auch in den kommenden Monaten die Aufhebung des Frauenfußballverbots durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) aus dem Jahr 1970 in den Mittelpunkt stellt.

Und die Gästeliste für das Programm hätte kaum besser sein können. Denn neben der Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gesellten sich nicht nur ehemalige und aktuelle Nationalspielerinnen, sondern auch echte Pionierinnen, Macherinnen und Protagonistinnen, ohne die der Frauenfußball in seiner heutigen Form kaum denkbar wäre. Passenderweise wurden die Podiumsgespräche in zwei „Halbzeiten“ geteilt.

Zunächst begrüßte aber „Hausherr“ und Präsident Gundolf Walaschewski durchaus launig die Gäste, in dem er unter anderem aus dem DFB-Verbot zitierte („Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden …“) und von dem ersten offiziellen Frauenfußballspiel im Kreis Siegen/Wittgenstein berichtete, das der Schiedsrichter im „Röckchen“ gepfiffen hat. „Das wurde als Jux aufgenommen, zeigte aber deutlich, wie der Frauenfußball zu jener Zeit wahrgenommen wurde“.

„Dönekes“ aus vier Generationen
Eine, die diese Zeit nur zu gut kennt, ist Christa Kleinhans. Trotz aller Widerstände in den 1950er Jahren war für sie ihre aktive Zeit als Fußballpionierin in Dortmund die „schönste ihres Lebens“. Nicht nur einmal schüttelten die gespannten Zuhörerinnen und Zuhörer ungläubig mit dem Kopf, wenn die über 80-Jährige die „Dönekes“ von damals zum Besten gab. Vom Straßenfußball gegen die Jungs, von der mit Maulwurfshügeln und Müll übersäten, unebenen Wiese, die als Spielfläche diente, von Länderspielen im legendären Mailänder San Siro und vielem mehr. Nur zu gut passte ein Einspieler aus der Wochenschau von 1955 in die Geschichten der Dortmunderin, die mehr als 150 Länderspiele – allerdings nicht unter dem Dach des DFB – bestritt. „Wir haben gekämpft“. Für sich selbst und den Frauenfußball.

Auf den roten Sofas neben Christa Kleinhans nahmen nacheinander mit Martina Voss-Tecklenburg, Annike Krahn und Lena Oberdorf drei weitere Fußballerinnen-Generationen Platz. Auch die aktuelle Bundestrainerin hat ihre ersten fußballerischen Gehversuche auf der Straße unternommen. Die „Windmühlen“, gegen die sie kämpfen musste, fanden sich auch im eigenen Elternhaus. Erst als sie mit zarten 15 Jahren entdeckt und noch im gleichen Lebensjahr (!) DFB-Pokalsiegerin wurde, waren auch die Eltern überzeugt, dass Tochter Martina ausgerechnet im Fußball ihre sportliche Heimat gefunden hatte.

EM-Kaffeeservice im Hause Voss-Tecklenburg noch in Gebrauch
Was folgte, war eine nahezu beispiellose Karriere mit zahlreichen Erfolgen und Auszeichnungen. Dazu gehörte auch das ominöse Kaffeeservice, mit dem der DFB sie und die EM-Heldinnen für den Titelerfolg 1989 im eigenen Land prämierte. Für Voss-Tecklenburg im Nachhinein aber alles andere als ein schmachvolles Geschenk. „Als wir hörten, dass für das Finale in Osnabrück mehr als 20.000 Tickets verkauft waren, war das für uns schon Anerkennung genug. Wir hatten damals noch einen Amateurstatus und es gab schlicht keine Prämienregelung für uns. Der DFB war vielleicht genauso überrascht wie wir, dass wir dann auch noch das Finale mit 4:1 gegen den haushohen Favoriten Norwegen gewinnen würden. Insofern ist das Kaffeeservice für mich persönlich nicht negativ behaftet. Und ich benutze es auch heute noch ab und zu“.

Ein Kaffeeservice gab es für Annike Krahn und ihre Generation freilich nicht mehr. „Wir haben sehr von der Vorarbeit der Pionierinnen profitiert“, richtete die Olympiasiegerin von 2016 pflichtschuldig ihren Dank an Kleinhans und Voss-Tecklenburg. Die gebürtige Bochumerin berichtete genau wie Lena Oberdorf von der gewachsenen Nachwuchsförderung in Vereinen und Verbänden. „Lena ist eines von vielen Talenten aus Westfalen. Dennoch wünsche ich mir auch einen westfälischen Bundesligisten“.

Anruf von der Bundestrainerin in der Mathestunde
Deswegen zog es Lena Oberdorf von der B-Jugend des TSG Sprockhövel direkt zu den Bundesliga-Frauen der (niederrheinischen) SGS Essen. Die gebürtige Gevelsbergerin ging im vergangenen Sommer als jüngste deutsche WM-Debütantin in die Geschichtsbücher ein. Die Nachricht für die Nominierung erhielt sie ausgerechnet in der Schule. „Nach der ersten Stunde Mathe habe ich in der Fünf-Minuten-Pause aufs Handy geschaut und zwei verpasste Anrufe von Martina drauf gehabt“. Die freudige Nachricht über die Kaderberufung musste dann bis zur Klingel warten …

Es waren diese kleinen Geschichten und Anekdoten, die die „erste Halbzeit“ – trotz deutlicher Verlängerung – so kurzweilig machten. Und auch in der zweiten Hälfte sollte es an spannenden Geschichten nicht mangeln. Martina Voss-Tecklenburg – jetzt in ihrer Funktion als Bundestrainerin – blieb bei der zweiten Podiumsrunde gleich sitzen. „Equal Play statt Equal Pay“ – also „gleiches/gleichwertiges Spiel“ statt „gleiche Bezahlung“ – lautete eine der zentralen Forderungen der gebürtigen Duisburgerin. „Wir unterscheiden immer noch zu sehr zwischen Frauen- und Männer- beziehungsweise Mädchen- und Jungenfußball. Wir sind aber ein Fußball und müssen das konsequent leben“, sagte Voss-Tecklenburg, die nebenbei verriet, dass sie sich gern auch mit Jogi Löw sowie seinem Trainer- und Analysten-Team der Nationalmannschaft über Taktik und Spielformationen austausche. „Hier ist schon die Akzeptanz vorhanden“.

„FC Bayern des Frauenfußballs“ in Siegen
Gudrun „Emmi“ Winkler kennt ihre Vorrednerin gut. Gemeinsam haben sie die „goldenen Jahre“ im Siegener Frauenfußball erlebt. Voss-Tecklenburg als Spielerin des TSV, Winkler als – wie sie sagt – „Mädchen für alles“ im Hintergrund. „Erst war ich Spielerin. Als dann aber die ganzen Top-Spielerinnen wie Martina oder Silvia Neid kamen, bin ich freiwillig ins zweite Glied gerückt und habe die Mannschaft woanders unterstützt. Habe Brötchen geschmiert, war Wasserträger und habe Trikots gewaschen“. Eine Erfolgsgeschichte im westfälischen Frauenfußball zwischen 1968 und 1996, die „Emmi“ hautnah miterlebt hat. Und auch ihren Niedergang. Der „FC Bayern des Frauenfußballs“ spielt heute – unter dem Dach der Sportfreunde Siegen – in der Westfalenliga.

Schiedsrichterin Vanessa Arlt und Marianne Finke-Holtz komplettierten das Talk-Quartett in der zweiten Hälfte. Arlt leitet als Schiedsrichterin Spiele der Frauen-Bundesliga und der Männer-Regionalliga. Marianne Finke-Holtz ist die erste Frau im Präsidium des FLVW und verantwortet als Vizepräsidentin das Ressort für Vereins- und Verbandsentwicklung und sitzt der Frauenfußball-Kommission vor. Was beide eint: Sie setzen sich gegen Männer durch. Die eine auf dem Platz, die andere in den Gremien. Und sie sagen unisono: Die Akzeptanz der Frauen im Fußball steigt. Auf und neben dem Platz. Auch wenn es noch Luft nach oben gibt…

Der FLVW sammelt ab sofort Geschichten rund um den Frauen- und Mädchenfußball. An presse(at)flvw.de können Sie ab sofort Ihre Erlebnisse, Fotos oder Erinnerungen schicken. Im Oktober 2020 plant der Verband dann eine Sonderausgabe des Verbandsmagazins WestfalenSport zum Thema „50 Jahre verboten guter Fußball“.